Bei Slow Travel wird die alltägliche Stressbelastung nicht mehr auf das Reisen übertragen. Es gilt das Credo „Weniger ist mehr“. Anstatt viele Eindrücke in kurzer Zeit zu erzeugen, wird durch achtsames Reisen Klarheit, Ruhe und Fokussierung angestrebt. Es werden Freiräume für Pausen gelassen. Durch einen entspannten Reiseplan wird der Spontanität und dem Genuss Raum gegeben. Auch das Gepäck unterliegt der Vereinfachung. Slow Traveller packen nur Essentielles ein, das, was für sie wichtig ist. Manche steigen extra auf ein kleineres Gepäckstück um, damit sie weniger mitnehmen. Um Habseligkeiten geht es in Slow Travel auch gar nicht. Gesucht wird das Reiseglück im Immateriellen: in nachhaltigen Eindrücken, genussvoller Erholung und innerem Wachstum.
Slow Travel ist in jeglichem Rahmen umsetzbar: privat oder geschäftlich, mit geringem oder hohem Budget, in Stadt oder Natur und als Sabbatical oder Kurztrip. Die Umsetzung von Slow Travel ist unterschiedlich und individuell. Es reicht von der Auszeit auf der Alm über die Wüstenwanderung bis hin zum Meditationsseminar. Eine Fahrradtour kann genauso bewusst unternommen werden, wie eine Pilgerreise. Slow Travel kann luxuriös oder asketisch sein.[1] Es kann Camping, House-Sitting, Pet-Sitting, Volunteering, Arbeiten oder ein Sprachkurs vor Ort bedeuten. Wichtig ist die innere Einstellung, nicht äußere Bedingungen.
Das Langsamreisen ist eine Art neuer Abenteuerurlaub, nur eben ohne Action und Adrenalin. Das Abenteuer ist Teil des Geschehens zu werden. Slow Traveller interagieren mit der Umgebung, statt sich passiv alles anzusehen. Entschleunigung wird dabei mit verschiedenen Aktivitäten verbunden. Sie konzentrieren sich auf Einzelnes. Dabei halten sie die ungewohnte, vermeintliche Leere aus, die entsteht. Es ist eine Gegenhandlung zur Produktivität und zum Multitasking, mit dem die meisten im Alltag ansonsten beschäftigt sind. Das Langsamreisen soll durch vertiefte Erfahrungen beim inneren Wachstum helfen. Es soll einen Effekt nach der Reise haben. Ziel ist letztlich die eigene Lebensqualität zu steigern.[2] Das Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main formulierte zehn Verhaltensweisen, die mit Slow Travel einhergehen:
- Tempo drosseln
- Die Komfortzone ausweiten
- Vereinfachen
- Von Plänen loslassen
- Weniger ausgeben
- Fuß fassen
- Sich einfügen
- Auf Fremde vertrauen
- Dankbarkeit zeigen
- Das Gewöhnliche wertschätzen[3]
„Slow Traveller nehmen an, dass sie nicht alles während einer Reise sehen müssen, dass es noch weitere Reisen geben wird“
…meint Pauline Kenny, die Trendsetterin von Slow Travel. Besser sei es, eine Gegend genau kennenzulernen, als nur kleine Teile von vielen Gebieten zu besuchen.[4] Für Slow Travel stellt sie folgende Prinzipien auf:
- Längere Aufenthalte an einem Ort, anstatt die Urlaubszeit auf vielen Orte zu verteilen.
- Die Reise vorab nach eigenen Vorlieben planen, statt z. B. einer von außen diktierten Planung der Top 10-Sehenswürdigkeiten zu folgen.
- Slow Travel ist nicht dasselbe wie Langzeitreisen. Die Reise kann auch nur eine oder zwei Wochen andauern.
- Slow Travel muss nicht teuer sein. Abseits der großen Hotelketten finden sich auch bezahlbare Unterkünfte.
- Slow Travel ist die Freiheit, nicht alles sehen zu müssen.[5]
Nicky Gardner, die Autorin des Slow Travel-Manifests, definiert Slow Travel über Entschleunigung anstelle von Geschwindigkeit. Das Reisen ist eine Zeit zum Entspannen. Beziehungen sollen zur Umgebung und entstehen. Im Zentrum steht der Austausch mit Menschen. Dies geschieht durch eine Reihe an Verhaltensweisen. Statt internationale Ketten, wie Starbucks, werden lokale Produkte und Etablissements, z. B. das kleine Café in der Seitengasse, bevorzugt. Lokale Transportmittel werden zur Fortbewegung genutzt. Anstatt Must-Sees abzuklappern wird sich bewusst gegen den Mainstream entschieden. Slow Traveller interessieren sich für Orte, die auch bei den Einheimischen beliebt sind. Diese stimmen nicht immer mit den touristischen Sehenswürdigkeiten überein. Slow Traveller wollen auch etwas an die Umgebung zurückgeben. Sie streben nach Low Impact-Tourismus. Der eigene CO2-Fußabdruck wird genauso wie die ökologische Nachhaltigkeit der Reise bedacht.
Slow Traveller wählen langsame Transportmittel, die einen Mehrwert bieten. Der Transport von A nach B wird als Teil der Reise verstanden. Es geht um den Weg und nicht darum, wann genau man am Ziel ankommt. Beispielsweise empfiehlt Gardner eine Reise von Portugal nach Großbritannien mit Bus und Bahn anstatt zu Fliegen. Aber auch Züge sind oft so schnell unterwegs, dass die Umgebung gar nicht angemessen wertgeschätzt wird. Gardner zieht für die Strecke von Frankfurt am Main nach Köln z. B. einen langsamen Überlandzug dem einstündigen Schnellzug vor. [6]
Im Slow Travel besuchen die Reisenden Orte bewusster. Gardner spricht von „Slow Places“ – gemeint ist die Reduzierung der Geschwindigkeit mit der Reisende normalerweise unterwegs sind. Ein städtischer Platz sei nicht für Touristen gebaut worden, sondern entstand durch die urbane Anpassung an die Bedürfnisse der Bevölkerung. Orte verdienten mehr als einen kurzen Blick bei der Durchreise. Slow Traveller studieren ihre Umgebung ins Detail. Es geht um das Erfassen der wahren Essenz einer Region oder eines Landes. Entsprechend fragen sich Slow Traveller vor ihrer Reise, wie sie Orte am besten erkunden.[7] Die Reisezeit wird als wertvoll erachtet. Das heißt jedoch nicht, dass sie gespart wird. Sie wird allem und jedem gewidmet.[8]
Für die Umsetzung von Slow Travel gibt es verschiedene Ansätze. Gemein haben sie das Streben nach einem Wandel der inneren Einstellung. Auch wird das Reisen im Sinne der Fortbewegung verstanden. Dabei werden routinierte Handlungsmuster aufgelöst. Zu den Vorschlägen des britischen Reiseautors Dan Kieran zählen z. B. sich auf den Instinkt zu verlassen und sein eigener Reiseführer zu sein. Unerwartetes wird als Chance für Abenteuer sowie Spontanität gesehen. Katastrophen sind willkommen. Wer immer nach Plan lebt, verpasst möglicherweise eine seltene Gelegenheit. In seinem Buch „Slow Travel. Die Kunst des Reisens“ beschreibt Kieran wie er eine Reise ohne Landkarte, Reiseführer oder Zimmerbuchungen dem Zufall überlies. Er nutzte den Zug, ein Floß, ein Milchwagen und seine eigenen Füße zur Fortbewegung. Nicht alles zu planen und loszulassen ist ihm beim Reisen wichtig. Er mache zwar eine grobe Planung im Vorfeld. Es ginge beim Reisen jedoch nicht darum, das zu sehen, was man erwartet habe. Die Dinge, die am stärksten in Erinnerung blieben, seien die, die man nie vorhersehen konnte. Dazu empfiehlt Kieran alleine zu reisen. Man spreche weniger und die Reise würde zu einer Art Meditation.[9]
Slow Traveller wählen ihre Urlaubziele abseits des Massentourismus’. Sie besuchen weniger frequentierte Regionen. Geht es doch in ein bekanntes Reiseziel, wird der Besuch möglichst abseits der Hauptsaison geplant. Vor Ort wird nicht in großen Hotelketten übernachtet, sondern eine einheimische Unterkunft gewählt. Privatunterkünfte sind heute über zahlreiche, digitale Plattformen verfügbar. Wer nicht in die Overtourism-Gebiete reist, unterliegt dabei auch nicht der Gefahr, die Mieten in die Höhe zu treiben. Möglichkeiten zur Übernachtung sind beispielsweise:
- Gästezimmer von Einheimischen.
- Home-Stays. Meist sind es Familien, die ein Zimmer oder Apartment in ihrem Haus anbieten.
- Gästehaus oder -zimmer auf dem Bauernhof. Malzeiten aus lokalen Produkten sind bei vielen Höfen inklusive.
- Gästezimmer in Klöstern. Diese sind oft in historischen Gebäuden. Die Ausstattung reicht von luxuriös bis zu spartanisch.[10]
Slow Traveller schulen ihre Wahrnehmung um die Essenz der Umgebung einfangen. Hierfür gibt es zahlreiche Hilfsmittel. So kann z. B. Reisetagebuch geführt werden, bewusste Pausen eingelegt werden oder versucht werden, den Moment, wie ein mentales Foto, festzuhalten. Manche Slow Traveller führen ein Skizzenbuch mit sich, um die Eindrücke zeichnerisch einzufangen.
Ein weiteres großes Thema beim Langsamreisen ist Digital Detoxing. Sara Clemence macht in ihrem Buch „Achtsam Reisen. Kabellos glücklich oder Wie dein Urlaub zur echten Auszeit wird“ (2018) Vorschläge für das digitale Entgiften. Sie rät bereits vor der Reise festzulegen, wie weit die Auszeit von der Technik geht. Die Umsetzung variiert von einem schwachen Entzug (Technikauszeiten) bis hin zur totalen Abstinenz (das Smartphone bleibt in der Unterkunft oder zu Hause).[11]
Auch werden Reisetraditionen belebt, die den Slow Traveller in die analoge Welt zurückholen. Dazu zählen beispielsweise die Kunst des Flanierens, des langsamen Schlenderns, das Postkartenschreiben und die Nutzung von Landkarten. Letztere laufen nicht Gefahr bei niedrigem Akkustand unbenutzbar zu sein. Außerdem verlangsamen sie die Dinge.[12]
Entschleunigt wird nicht nur das Reisen selbst. Auch bei der Ankunft zu Hause wird Stress vermieden. Die Reise soll nachwirken und nicht den Wunsch nach einem „Urlaub nach dem Urlaub“ auslösen. Slow Traveller planen ein oder zwei Urlaubstage ein, um in Ruhe daheim anzukommen. Die Reiseerfahrung soll nachhaltig sein. Statt den Urlaub getrennt vom Alltag zu erleben, profitieren die Welten voneinander. Eventuell hat der Reisende neue Rezepte der lokalen Spezialitäten mitgebracht, ein neues Hobby entdeckt oder ein Interesse für die Landessprache entwickelt. Auch wird Wert auf Bekanntschaften und kulturellen Austausch gelegt. Entstandene Kontakte werden gepflegt und möglichst erhalten.[13]
[1] Vgl. Heimann, Andreas (2013): Warum pilgern nicht peinlich ist, In: https://www.spiegel.de/reise/aktuell/slow-tourism-warum-pilgern-nicht-peinlich-ist-a-935136.html (25.09.2020).
[2] Vgl. Kirig, Anja (2020): Slow Travel, In: https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/slow-business/slow-travel/ (23.09.2020).
[3] Ebd.
[4] Vgl. Schlichter, Sarah (2007): The art of Slow Travel. Avoid post-vacation burnout and take time to enjoy your journeys, In: http://www.nbcnews.com/id/20429755/ns/travel-travel_tips/t/art-slow-travel/ (26.09.2020).
[5] Vgl. Kenny, Pauline (2019): What is Slow Travel?, In: https://www.sloweurope.com/community/resources/what-is-slow-travel.140/ (26.09.2020).
[6] Vgl. Gardner, Nicky (2009): A Manifesto for Slow Travel, In: https://www.slowtraveleurope.eu/slow-travel-manifesto (20.09.2020).
[7] Vgl. Ebd.
[8] Vgl. Gardner, Nicky (2020): Welcome to Slow Travel Europe, In: https://www.slowtraveleurope.eu (23.09.2020).
[9] Vgl. Molk, Manuela (2019): Slow Travel. Ein Fragebuch für Reisende, Norderstedt.
[10] Vgl. Clemence, Sara (2018): Achtsam Reisen. Kabellos glücklich oder Wie ein Urlaub zur echten Auszeit wird, Köln, S. 14 – 15.
[11] Vgl. Ebd. S. 10 – 11.
[12] Vgl. Clemence, Sara (2018): Achtsam Reisen. Kabellos glücklich oder Wie ein Urlaub zur echten Auszeit wird, Köln, S. 42 – 66.
[13] Vgl. Ebd. S. 122 – 123.