Einmal über den Atlantik segeln – vom südlichen Zipfel Europas bis in die Karibik! Das klingt wie eine wilde Träumerei, die vielen Menschen in den Köpfen herumschwirrt. Aber die wenigsten setzen solche Gedankenspiele in die Realität um. Die zwei Studienkollegen Niko und Nicklas haben es tatsächlich gewagt. Der dreiwöchiger Segeltörn in die Karibik war nur ein kleiner Teil ihrer spektakulären Reise. Niko, der mir von den Abenteuern berichtete, könnte sicherlich ein ganzes Buch mit den Ausführungen füllen.
Er und Nicklas haben sich während ihres Studiums in Freiburg kennengelernt. Nicklas arbeitete damals in einer Fahrradwerkstatt und steckte Niko mit seiner Begeisterung für das Radfahren an. Ihre erste gemeinsame Reise, die rückblickend wie ein Testlauf für das, was noch kommen sollte, scheint, führte die beiden nach Irland. Nachdem sie mit dem Zug über Nordfrankreich nach Großbritannien fuhren, setzten sie mit der Fähre nach Irland über. Die grüne Insel fuhren sie dann ein Monat mit dem Rad ab.
Im September 2018, einige Jahre nach ihrer Studienzeit, war der Abenteuerdurst wieder geweckt und die zwei Freunde starteten auf eine weitere gemeinsame Reise. Dieses Mal sollte es länger, weiter und ungeplanter, als die Irlandreise werden. Als Hauptfortbewegungsmittel diente erneut das Rad. Von Kehl, nahe an der französischen Grenze, fuhren die zwei nach Offenburg, über die Taizé-Gemeinschaft und die Stadt Montpellier in Frankreich bis nach Barcelona in Spanien. Nachdem die beiden von dort mit der Fähre nach Mallorca gefahren waren, ging das eigentliche Vorhaben los: Ziel war es, ohne Flugzeug, mit einem Schiff nach Südamerika überzusetzen. Am besten als Crewmitglieder, indem Arbeit gegen Überfahrt getauscht würde. Hierfür musste nur noch eine geeignete Mitfahrgelegenheit gefunden werden. Die Monate von November bis Januar eignen sich für eine Atlantik-Überquerung am besten, da die Passatwinde dann unterstützend wirken. Aber wie es so oft ist: „Einfacher gesagt, als getan.“, wie ich von Niko erfuhr.
Wie habt ihr euer Boot denn letztlich gefunden?
Es war wirklich schwer ein Boot für die Überfahrt zu finden. Es gibt zwar einige Webseiten, auf denen Skipper nach Crew-Mitgliedern suchen, wie z.B. handgegenkoje.de oder findacrew.net. Aber zu dem Zeitpunkt, an dem wir eine Überfahrtsmöglichkeit suchten, gab es kein passendes Angebot. Nur durch eine Bekanntschaft des Großcousins von Nicklas, den wir auf Mallorca besuchten, kamen wir letztlich an unseren Skipper. Manfred (Name geändert) war ein deutscher Segellehrer, der mit seinem Katamaran über den Atlantik segeln wollte, und noch Besatzungsmitglieder suchte. Es sind einige Personen nötig, um den Radar alle 24 Stunden des Tages im Blick zu behalten, sodass im Notfall jemand reagieren kann. Auch war die Überfahrt leider nicht komplett durch unsere Mitarbeit finanzierbar, wie unser ursprünglicher Wunsch war. Pro Person zahlten wir 1.300 Euro, was auch die Verpflegung beinhaltete. Andererseits zahlen andere Menschen so viel für einen All-Inclusive-Urlaub. Da denke ich, waren wir mit unserem Segeltörn weit besser bedient.
Wie viele und welche Personen waren an Bord?
Wir waren zu fünft auf dem Katamaran, alles Männer. Die anderen waren interessanterweise merklich älter, zwischen 45 und 65 Jahre alt, während Nicklas und ich mit unseren 30 Jahren die jüngsten Besatzungsmitglieder waren. Neben unserem Skipper Manfred waren noch ein Schweizer und ein Deutscher aus dem Ruhrgebiet an Bord. Mit Frauen an Bord wäre die Reise sicherlich anders gewesen. Ein lustiger Fun Fact: Single-Frauen werden am liebsten auf solche Segelreisen mitgenommen. Danach kommen Paare, und dann Single-Männer. Wahrscheinlich liegt das daran, dass sich die Männer bei Single-Frauen Chancen ausmalen. Bei Paaren stellt sich die Frage nach der Verfügbarkeit der Frau gar nicht erst. Hier ist der Vorteil eventuell, dass ein Paar sich emotional unterstützt. Das heißt, wenn es Probleme gibt, kümmern die zwei Personen sich umeinander und sind in dieser Hinsicht versorgt. Ich denke, ob Mann oder Frau ist gar nicht so ausschlaggebend. Weit wichtiger ist, was es für eine Person ist, die da an Bord geht. Wie sie mit Problemen umgeht, wie stabil sie psychisch ist.
Was war die Motivation der anderen Männer für den Segeltörn?
Die drei anderen Männer standen an ganz anderen Punkten in ihrem Leben. Das hat sich auch in ihrer Motivation für die Reise widergespiegelt. Keiner von ihnen wollte die Karibik erreichen, um die Kultur dort kennenzulernen, ferne Orte zu erkunden oder weiterzureisen. Es waren vielmehr Gründe persönlicher Art. Sie brauchten Zeit für sich, wollten beispielsweise wichtige Lebensentscheidungen treffen. Das hatte dann mit der Partnerschaft zu tun, tiefen Entscheidungen zu Familie und den nächsten Schritten im Leben. Es ging darum, aus dem Alltag auszutreten und in eine Art Isolation zu kommen, abgeschirmt von den Dingen, mit denen man sich täglich befasst, weg von den üblichen Einflüssen. Ökologische Gründe spielten bei ihnen keine Rolle. Für meinen Kumpel Nicklas war das aber einer der Hauptbeweggründe für die Segelreise. Er hat sich schon lange gegen das Fliegen entschieden und vermeidet Flugzeuge so gut es geht. Er würde nur in Notsituationen oder einem plötzlichen Todesfall in den Flieger steigen. Aus seinem ökologischen Bewusstsein entstand letztlich unser Abenteuergedanke: Wie können wir auf einen anderen Kontinent gelangen ohne zu fliegen?!
Seid ihr miteinander auf dem Katamaran gut klargekommen?
Während unserer Reise war die Stimmung gut, aber trotzdem sind keine bleibenden Freundschaften entstanden. Insgesamt würde ich sagen, eine Segelgemeinschaft funktioniert gut, wenn Menschen offen dafür sind, auf kleinem Raum zu leben und Kompromisse einzugehen. Auch sollten sie an den anderen interessiert sein und sich nicht abschotten. Dann kann ein Segeltörn Spaß machen. Was bei unserer Reise jedoch für Spannungen sorgte, waren unterschiedliche politische Ausrichtungen. Die Meinung unseres Skippers Manfred war in Bezug auf Flüchtlinge und Migration sehr weit von unserer Position entfernt. Es kamen Sätze, wie: „Ich bin ja kein Nazi, aber…“. Das hat sich bereits herauskristallisiert, bevor wir in See gestochen sind. Eigentlich würde ich persönlich solchen Menschen aus dem Weg gehen. Nicklas und ich haben dann vorab darüber diskutiert, ob wir mit einer Person, die so anders denkt, so eng reisen möchten – und uns auch in eine Abhängigkeit begeben. Mit Manfred haben wir ebenfalls gesprochen und unsere Haltung zum Thema dargelegt. Gemeinsam haben wir dann beschlossen, dass wir das Thema meiden. Das klappte zwar nicht hundertprozentig, da es immer im Raum schwebte. Dennoch blieb Umgang respektvoll und wir konnten miteinander in einem gesitteten Rahmen kommunizieren. Außerdem bedeutet eine andere politische Meinung auch nicht, dass alles schlecht ist, an der anderen Person. Manfred hatte wahnsinnige Qualitäten in bestimmten Bereichen, wie Spezialwissen zur Navigation mit Sternen. Das hat er auch weitergegeben. Er hat viel erklärt, was für uns sehr spannend und bereichernd war.
Welche Stationen gab es während der Reise?
Es gab noch einige Stationen, bevor der Segeltörn überhaupt losging, denn der startete nicht auf Mallorca, sondern auf Teneriffa. Nicklas und ich verkauften erst einmal unsere Fahrräder auf Mallorca. Dann nahmen wir eine Fähre nach Valenica, den Zug nach Cadiz und eine weitere Fähre auf die Kanarischen Inseln. Bereits auf der dreitägigen Überfahrt nach Teneriffa lernten wir lustige Menschen kennen, die auf der Insel in Höhlen am Strand lebten. Die haben uns zu sich eingeladen und wir haben einige Tage mit ihnen verbracht. Auch sind wir auf den Vulkan Teide gestiegen und haben dort wild gecampt. Manfred lag zu dem Zeitpunkt schon mit dem Katamaran im Hafen. Wir haben ihn dann vier Tage vor der Reise schon bei den Vorbereitungen, das Boot für die lange Seereise in Stand zu bringen, unterstützt. Da war vor allen Dingen viel einzukaufen, denn fünf Personen für drei Wochen auf hoher See benötigen ganz schön viel Nahrungsmittel und Wasser. Wir hatten dann zwar auch eine Wasseraufbereitungsanlage dabei, die Salzwasser in Trinkwasser umwandelte. Aber abgefülltes Wasser wurde trotzdem benötigt. Am 18. November 2018 ging der Segeltörn dann los. Nach knapp drei Wochen sind wir in St. Lucia, einem Inselstaat in der Karibik, angekommen. Im Anschluss sind wir um die Insel Martinique gesegelt, die auf Grund der Kolonialgeschichte zu Frankreich gehört. Dort stiegen wir dann von Bord.
Was gab es in der Zeit auf dem Katamaran für euch zu tun?
Ich hatte meine Ukulele und Mundharmonika dabei, weshalb ich viel Zeit an Bord mit Musikmachen verbracht habe. Nicklas hat sich sehr viel mit Dehn- und Fitnessübungen beschäftigt. Auch haben wir ganz schön oft Karten gespielt. Vor der Reise hatten wir nicht viel darüber nachgedacht, was der Trip mit unserer Freundschaft macht. Wir kannten uns bis dato immerhin acht Jahre. Die anderen meinten, sie würden nicht mit ihrem besten Kumpel an Bord gehen, weil teilweise Freundschaften daran kaputtgehen. Unsere hat es allerdings gut überstanden. Ansonsten waren wir in einem durchgängigen Schichtsystem eingeteilt. Alle sechs Stunden hatte man eine zweistündige Schicht zu leisten. Das bedeutet in 24 Stunden hatte man drei Mal Schicht, denn auch nachts muss ja die Fahrtrichtung eingehalten werden. Neben der Richtung musste man außerdem Ausschau halten: einerseits nach großen Schiffen oder auch verloren gegangene Container. Diese werden nicht vom Radar registriert und können bei Kollision zu schweren Schäden am Boot führen. Sie schwimmen meist nur knapp unter der Wasseroberfläche, da die auf Grund der guten Versiegelung Luft beinhalten und oben treiben. Das Boot fährt durchgängig 24 Stunden ungefähr 14 km/h in die vorgegebene Richtung. Irgendwann ist mir der Vergleich zum Fahrrad gekommen, denn mit dem Rad wäre man ungefähr genauso schnell unterwegs. Wir sind quasi im Fahrradtempo über den Atlantik gefahren.
Was hat euch besonders an der Segelreise gefallen?
Faszinierend waren die Extreme: Einerseits die Schönheit des Ozeans, wie die Meereslebewesen. Beispielsweise gab es fliegende Fische bei Nacht, die dann auf Deck landeten, weil sie vom Licht angezogen wurden. Wir haben auch immer wieder Delfine gesehen und auch Wale sind einmal unter dem Boot durchgeschwommen. Das war ein wunderbares Erlebnis, so nah an der Natur zu sein und auch die unendliche Weite des Meeres zu spüren. Auch waren die Nächte sehr besonders: tiefe Dunkelheit bei klarem Sternenhimmel und ruhiger See. So einen Ort vergisst du nie mehr. Als Kontrastprogramm gab es die Stürme, die einen im Bett hin und her schleuderten. Ich bin dabei aber nicht einmal aufgewacht, weil ich durch das Schichtsystem so erschöpft war. Da habe ich einfach durchgeschlafen. Nicklas hat mir berichtet, es sei ein Wunder, dass es mich nicht aus der Koje geworfen hat.
Wie ging es nach dem Segeltörn von Martinique aus weiter?
Von Martinique haben wir eine Fähre nach Guadeloupe genommen. Auf der Insel haben wir einen ganzen Monat verbracht, weil zufällig ein Freud von uns dort sein Erasmus-Semester verbrachte. Er wohnte dort mit vier anderen Studenten in einem Haus, wo wir ebenfalls unterkamen. Die Zeit dort haben wir einfach genossen. Wir waren viel Angeln, haben Volleyball gespielt, aber auch in einem Hostel als Volunteers gearbeitet (über die Plattform Workaway). Weihnachten und Silvester haben wir ebenfalls auf Guadeloupe gefeiert. Das spannendste Abenteuer war eine Insel-Umwanderung, die wir gemeinsam unternommen haben. Nur eine Seite der tropischen Insel ist bevölkert, die andere Seite ist ein wilder Nationalpark. Das gefährlichste Tier der Insel ist der giftige Hundertfüßer. Wir haben die Unternehmung trotz der wenigen gefährlichen Tiere unterschätzt: wir hatten mit viel mehr Bevölkerung, und damit Zugang zu Nahrung und Frischwasser, gerechnet. Irgendwann sind uns bei der Wanderung die Vorräte ausgegangen und wir mussten erfinderisch werden. Beispielsweise haben wir Kochbananen von den Plantagen geklaut, haben Fische und Heuschrecken gefangen. Aus diesen Zutaten konnten wir wirklich gutes Essen zubereiten. Solche Geschichten klingen im Nachhinein immer lustig und abenteuerlich, sind in dem Moment aber auch hart. Zum Beispiel werden die Mücken immer aggressiver, je tropischer und abgelegener ein Ort ist. Die Mücken waren eigentlich am schlimmsten. Ansonsten haben wir auf der Insel tolle Erfahrungen gesammelt. Die Flora und Fauna war total interessant und abwechslungsreich. Überall gab es schöne Wasserfälle und wir konnten auch viel schnorcheln gehen.
Welche Stationen kamen nach dem langen Inselaufenthalt?
Auf Guadeloupe haben sich die Wege von Nicklas und mir getrennt. Nicklas hat sich auf einem Containerschiff eingebucht und ist nach Rotterdam in die Niederlande zurückgefahren. Er kam dann Anfang Februar 2019 wieder in Europa an. Seine Linie, nicht zu fliegen, hat er also durchgezogen – aber das hat auch seinen Preis. Ein Flug hätte 350 Euro gekostet. Er war hingegen sechs Wochen auf dem Frachter unterwegs und hat für das Zimmer mit Vollverpflegung 1.800 Euro bezahlt. Verrückt, dieser Unterschied. Da habe ich übrigens auch einen Tipp: Im Winter sind sehr viele Kreuzfahrtschiffe in der Karibik unterwegs. Im Frühling fahren sie dann zurück nach Europa und bieten günstige Zimmer inkl. Verpflegung für z.B. 600 Euro zur Überfahrt an. Die Kreuzfahrturlauber*innen fliegen die Strecke meist zurück, da die Atlantiküberquerung für sie unattraktiv ist. Ich selbst bin nach dem Abschied von Nicklas noch vier Monate alleine mit dem Rad durch Südamerika gefahren – von Lima in Peru bis nach Medellín in Kolumbien. Erst danach bin ich wieder nach Deutschland zurückgekehrt, leider mit dem Flugzeug, da keine andere Rückreise möglich war.
Wie war es wieder zurück in Deutschland zu sein?
Als ich im Juli 2019 in die Heimat zurückkam, war mein Reisedurst gesättigt und ich hatte Lust meinen „Rucksack“ abzulegen. Erstaunlicherweise war ich ziemlich schnell wieder im Arbeitsrhythmus. Da ich Geld benötigte, habe ich mir einen Job gesucht und bin bei meinem Bruder in Freiburg untergekommen. Zeit zum Reflektieren nahm ich mir keine, aber damit ging es mir richtig gut.
Hast du etwas gelernt durch die Reise?
Auf die Segelreise nach Südamerika haben Nicklas und ich uns schon versucht vorzubereiten. Beispielsweise haben wir Spanisch gepaukt, sogar als wir noch in Frankreich mit dem Rad unterwegs waren. Für Nicklas waren die Vokabeln letztlich irrelevant, weil er nach der Karibik zurückfuhr. Wir haben außerdem einen Segelkurs inklusive den Segelschein für Binnengewässer auf dem Bodensee gemacht – mit viel Theorie und Dreipunkt-Navigation. Der Kurs hat für die tatsächliche Überfahrt nicht viel gebracht, war aber dennoch sehr schön, weil wir ein Gefühl für das Segeln entwickelt haben. Ich würde sagen, nach zwei Tagen auf hoher See, hat man diese Grundlagen auch intus. Im besten Fall steht einem, wie uns, ein erfahrener Skipper zur Seite, der einem die Grundlagen zeigt. Interessanterweise benötigt man auch keinen Segelschein, um den Atlantik zu überqueren. Im Grunde muss sich eine Person nur ein Boot kaufen oder leihen, es ins Wasser setzen und in See stechen mit dem Ziel: „Ich fahr‘ nach Martinique.“
Interview von Anika Neugart.
sehr coole action und nicklas ist der beste