Ganz ungewöhnlich ist die Hintergrundgeschichte zur Interrail-Reise der vier Studentinnen Isabelle, Jeni, Pauline und Zoé aus Süddeutschland: ein unverhoffter Ticket-Gewinn hatte zu ihrem gemeinsamen Trip geführt. Frisch mit dem Studium in Freiburg begonnen, hatte keine der vier Freundinnen vorgehabt, City-Hopping in Europa zu machen. Das Geld im Studium ist sowieso knapp und wer dann noch in Freiburg lebt, hat hohe Mietkosten zu finanzieren. Wie es das Schicksal wollte, gewann Isabell dieses Jahr jedoch ein Interrailticket im Wert von 500 Euro von der deutschen Bundesregierung. Ursprünglich wusste sie gar nicht genau, wie sie den unverhofften Gewinn nutzen sollte. Im Gespräch mit ihren Freundinnen entstanden dann aber sofort spaßeshalber das Angebot von Zoé und Pauline mitzufahren – jede hatte eine Idee, wo es am besten hingehen sollte, welche Städte sie in Europa schon immer sehen wollten. Aus dem Spaß wurde letztlich Ernst, Jeni schloss sich den Dreien an und sie begannen ihre gemeinsame Europareise mit dem Zug zu planen.
Da Isabell ihr 500-Euro-Ticket nur für sich nutzen konnte, musste ein adäquates und preiswertes Ticket für die anderen gefunden werden. Sie kauften schließlich den Interrail-Global-Pass für 185 Euro für Personen im Alter zwischen 12 und 27 Jahren. Das Ticket beinhaltete vier Reisetage in einem Monat. Auf den günstigen Preis kamen später noch rund 100 Euro an Kosten dazu, da einige Züge im Vorhinein reserviert werden mussten (welche das sind, wird in der Interrail-App angezeigt). Für nur 285 Euro bereisten die Freundinnen vom 13. bis 18. September 2022 die Metropolen Paris, London und Amsterdam. Was die vier erlebten und warum es auch in der heutigen Zeit in Europa noch gefährlich ist, als Frau alleine zu reisen, erzählte mir Zoé.
Wie habt ihr eure Reiseroute geplant?
Wir haben uns zu Beginn auf die drei Städte Paris, London und Amsterdam geeinigt. Die Route haben wir dann so gewählt, dass sie von den Kilometern Sinn ergab – die von unserem Ausgangspunkt nächstliegende Stadt zuerst, also Paris, im Anschluss London und dann weiter nach Amsterdam. Die Interrail-App ist total praktisch fürs Planen. Man hinterlegt sein Ticket und fügt dann die Reisen, wie in einem Baukasten, hinzu. Auf Grund unseres Tickets waren uns nur vier Reisetage möglich. Da wir insgesamt fünf Tage unterwegs waren, haben wir diese Reisetage sehr eng getaktet. Die vier Reisetage hätten aber auch innerhalb eines Monats mit mehr Aufenthaltstagen in den jeweiligen Orten dazwischen genutzt werden können.
Was ist das Besondere am Interrail für dich?
Für mich war das Reisen mit dem Zug durch Europa wahnsinnig entspannt. Man sitzt in seinem Abteil, lässt die Landschaft an sich vorbeiziehen und kommt ganz gemütlich ans Ziel. Wir haben die Zugfahrten hauptsächlich zum Schlafen genutzt. Die Städte haben uns sehr viel Energie gekostet, daher haben wir die Reisezeit genutzt um die Akkus aufzuladen. In London kamen wir uns zudem fast wie an einem Flughafen vor. Dort gab es hohe Sicherheitsvorkehrungen, unsere Taschen wurden durchleuchtet und kontrolliert. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass Großbritannien nicht mehr Teil der EU ist. Außerdem war das Reisen mit dem Interrailticket sehr günstig. Ohne dieses Angebot hätten wir die Reise in dieser Form wahrscheinlich nie gemacht – so viele Orte in so kurzer Zeit.
Für wen ist Interrail-Reisen eine gute Option?
Interrail-Reisen ist für alle interessant, die vorhaben, mehrere Städte in Europa zu besuchen. Wenn man nur eine Stadt ansteuert, macht das Ticket natürlich keinen Sinn. Für ältere Menschen, die schon in der Rente sind, oder Jüngere ist es außerdem vielleicht einfacher, lange Zeit am Stück unterwegs zu sein. Wir vier fanden es nach der Reise schade, dass wir nicht länger in den einzelnen Städten geblieben sind. Wir hätten den Trip noch länger ausdehnen sollen. Teuer ist Interrail-Reisen auch nicht. Wir haben für die Zugstrecken wegen der Reservierungen zwar etwas mehr Geld benötigt als erwartet, aber unter dem Strich war es recht günstig. Nur Amsterdam als Stadt war sehr teuer! Die Unterkünfte kosten viel, auch wenn man die günstigsten Optionen bucht.
Welche Orte habt ihr in den Metropolen angeschaut?
Rückblickend muss ich gestehen, haben wir uns im Vorfeld recht wenig Gedanken gemacht. Wir haben die Reise auf uns zukommen lassen. Was wir uns dann vor Ort anschauten, haben wir spontan entschieden. In Paris haben wir uns am ersten Tag den Eifelturm und Notre Dame angesehen, am zweiten dann Versailles. Notre Dame war etwas unspektakulär, da die Kirche immer noch teils abgesperrt war, wegen des Brandes 2019. In den Louvre sind wir nicht, da wir nicht stundenlang für ein Bild mit der Mona Lisa anstehen wollten. Wir hatten ja nur zwei Tage in der Stadt zur Verfügung. Dafür waren wir aber auf dem Arc de Triomphe. Der Ausblick auf die Champs Élysées war faszinierend, da man von dort oben das Gefühl hat, in der Mitte von Paris zu stehen. Am Abend vor unserer Weiterreise haben wir uns mit einer Flasche Wein an die Seine gesetzt – mit Ausblick auf den Eifelturm, der jede Stunde gefunkelt hat. Das war eine richtig schöne Stimmung! Ach, und wir haben einen Heiratsantrag vor dem Eifelturm gesehen.
In London waren wir alle schon einmal mit der Schule. Daher konnten wir einige Sehenswürdigkeiten, wie z.B. den Big Ben, von der Sight-Seeing-Liste streichen. Wir sind hauptsächlich durch die Stadt geschlendert und haben und treiben lassen. Überall standen Menschenschlangen und wir haben uns erst nicht viel dabei gedacht. Irgendwann sind wir mit den Leuten ins Gespräch gekommen und haben verstanden, dass das die Warteschlange war, um die aufgebarte Queen zu sehen. Sie war drei Tage vor unserem Aufenthalt gestorben. Das Ganze war total durchorganisiert: an der Tower Bridge gab es Eintrittsbänder in drei verschiedenen Farben, die für Tageszeiten standen. Die Eintrittsbänder waren gratis, man brauchte sie jedoch um zur Queen vorgelassen zu werden. Überall waren zudem Ordner in der Stadt verteilt – ein riesiges Sicherheitsaufgebot. Auf uns wirkte das gesamte öffentliche Verhalten etwas übertrieben. Dass es für die Nation tragisch ist, dass die Queen, diese repräsentative Figur, gestorben ist, ist verständlich. Aber dass die Menschen stundenlang in Warteschlangen standen, nur um der Toten ihre Kondolenz zu erteilen, wirkte auf uns etwas befremdlich. Zu Beginn waren es acht Stunden Wartezeit und am Ende sogar 24 Stunden!
In der letzten Station unserer Reise, Amsterdam, haben wir uns hauptsächlich schone Ecken in der Stadt angeschaut. Wir sind z.B. zu einer Brücke gegangen, die eine von uns auf Instagram entdeckt hatte. Auch haben wir Souvenirs gekauft für unsere Familien. Im Rotlichtviertel waren wir auch unterwegs, was etwas schockierend war, weil dort so unglaublich viel los war, hauptsächlich Touristen. In wirklich jedem Fenster saß eine Dame vor rotem Licht oder einem roten Vorhang. Sie hatten alle so wenig wie möglich an, meist Dessous. Auch haben wir einige Männer gesehen, wie sie in die Häuser reingegangen sind.
Habt ihr interessante Menschen kennengelernt während der Reise?
In den Zügen selbst haben wir keine anderen Reisenden kennengelernt – wir haben ja meist geschlafen. In London sind wir jedoch mit ziemlich vielen Leuten ins Gespräch gekommen. Ein Mann Anfang 50 ist mir dabei gut im Gedächtnis geblieben. Es war 21.00 Uhr. Er kam gerade aus der Kirche heraus, in der die Queen aufgebart war und erzählte uns, er habe sich um 14.00 Uhr angestellt gehabt. Er meinte, es war „completely worth it“. Das komplette Gegenteil dazu lieferte eine Frau Anfang 20, mit der wir auch über die Warteschlagen sprachen, die sie eher belächelte. Sie empfahl uns den Live-Stream, der weltweit abrufbar war und die aufgebarte Queen zeigte. Man müsste ihrer Meinung nach nicht anstehen, um die Queen zu sehen. Vielleicht lag das auch an ihrem Alter?!
Gab es unerwartete oder gefährliche Situationen während der Reise?
In Paris gab es tatsächlich einen unschönen Zwischenfall. Unser Hotel hatte eine super Lage, nahe am Zentrum. Aber die Zimmer waren sehr klein und es gab keinen Aufenthaltsbereich für uns alle. Daher mussten wir uns in den Innenhof setzen, wenn wir uns abends noch unterhalten wollten. Die Zimmer des Hotels waren rings um den Innenhof angeordnet, mit Türen und Fenstern nach Innen. Um etwa Mitternacht fiel Jeni auf, dass wir beobachtet wurden. Ein Mann schaute dauernd hinter dem Vorhang seines Zimmers hervor und starrte uns an. Wir schauten dann demonstrativ zurück, um ihm zu zeigen, dass wir ihn sahen. Aber das brachte ihn nicht aus dem Konzept. Er starrte einfach weiter. Plötzlich fiel dann der Vorhang etwas zur Seite und wir sahen, dass er nackt dastand und sich selbst befriedigte. Das hat uns einen wahnsinnigen Schrecken eingejagt und wir sind schnell in unsere Zimmer geflüchtet. Ein paar von uns konnten danach vor Angst nicht richtig schlafen.
Was war das Beste an der Reise? Was ist ein Moment, an den du dich am liebsten erinnerst?
Für uns war es etwas Besonderes, den Eifelturm in der Realität zu sehen. Man kennt das Wahrzeichen aus Social Media und dem Fernsehen. Aber dann wirklich davor zu stehen, ist schon ein seltsames Gefühl. Paris war insgesamt eine sehr schöne Stadt mit tollen alten Gebäuden – aber ich würde die Stadt jetzt nicht als das Highlight bezeichnen. Die Einheimischen waren auch sehr nett. Doch wenn man mit ihnen englisch sprach, haben sie einfach auf Französisch weitergesprochen. Daher haben wir uns nicht zu 100 % wohlgefühlt. London dagegen war dann sehr befreiend, da wir einfach englisch sprechen konnten. Ich würde daher sagen, London war mein Highlight! In unserem Hostel haben wir dadurch, dass wir in einem Zimmer mit 12 Betten waren, ziemlich viele andere Reisenden kennengelernt. Ein Mitbewohner war um die 30 und lebte seit Monaten in Hostels, da er durch ganz Europa reiste. Er hatte tolle Geschichten zu erzählen. Auch gab es in dem Hostel eine ziemlich lustige Situation. In einer der Nächte kamen zwei Asiaten um 02.00 Uhr nachts nach Hause und ließen für 20 Minuten das Licht brennen. Ich war dann richtig wach und dachte es sei morgens. Als ich aufstehen wollte, kam der Fehler dann raus. Wir haben sehr gelacht. Insgesamt war es einfach toll, so viel Zeit mit meinen Freundinnen zu verbringen. Abends saßen wir immer ewig zusammen und redeten. So intensiv Zeit miteinander zu verbringen macht man ja selten.
Wie war es wieder zurückzukommen nach Deutschland?
Tatsächlich empfinde ich Deutschland jetzt nach der Reise als sehr sauber. Wir haben einen sehr hohen Hygienestandard und das habe ich erst im Vergleich zu den anderen Städten erkannt. Paris war beispielsweise sehr verschmutzt, nicht nur unser Hotel sondern auch die Straßen und Parks in der Großstadt. London war dann, obwohl es ebenfalls eine sehr große Stadt ist, schon sauberer. Insgesamt habe ich es nach der Reise total wertgeschätzt, ein eigenes Bad zu haben, mein Bett nicht mit anderen zu teilen (in Paris hatten wir ein ein-meter-breites Bett zu zweit) und überhaupt mehr Platz für mich allein zu haben. Ein lustiger Fun Facts, obwohl ich keine Klischees bedienen möchte: Die Reise im Ausland lief total problemlos ab. Aber sobald wir zurück in Deutschland waren, gab es Verspätungen mit der Deutschen Bahn und wir haben teils unsere Anschlüsse nicht erwischt. Aus Basel, kurz vor unserer Heimatstadt, mussten wir dann von unseren Eltern abgeholt werden, da keine Züge mehr bis zur finalen Station fuhren.
Was hast du von der Reise mitgebracht?
Ich bin auf jeden Fall in meinem Englisch selbstbewusster geworden. Vor allem in London habe ich festgestellt, dass ich kein Problem habe, auf Leute zuzugehen und sie auf Englisch anzusprechen. Auch wenn ich nicht akzentfrei spreche, haben die Muttersprachler mich super verstanden. Aber wir haben auch ganz banal Souvenirs mitgebracht: jeder hat einen kleinen Eifelturm als Schlüsselanhänger aus Paris mitgenommen, Jeni und ich haben holländischen Käse aus Amsterdam mitgebracht und Isabell hat ihrer Mutter Blumensetzlinge gekauft. In London haben wir außerdem tolle Street-Art-Prints von einem Straßenhändler mitgenommen.
Wie stehst du dem Fliegen gegenüber?
Ich glaube, ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ich im Leben geflogen bin. Meine Eltern sind sehr umweltbewusst und daher sind wir noch nie viel mit dem Flugzeug vereist. Wir haben beispielsweise Verwandtschaft in Norddeutschland. Zu ihnen sind wir in den Ferien auch immer mit dem Zug gereist. Da waren wir auch immer acht Stunden unterwegs, aber es stand nie zur Debatte die Strecke zu fliegen. Meine Schwester war neulich ein Jahr lang in Neuseeland, weil sie das Land sehen wollte. Da kam sie um die Flugreise nicht drum rum. Ich selbst habe durch die Interrail-Reise realisiert, wie zentral Deutschland liegt. In Paris waren wir so unglaublich schnell. Die Bahn ist eine wirklich gute Alternative zum Fliegen. Wenn man jedoch nur eine einfache Strecke fährt, ist sie immer noch enorm teuer. Ich habe zwar eine Bahncard 50, was die Kosten etwas reduziert. Dennoch finde ich den Preis hoch, dafür dass auch immer wieder etwas schief geht. Da gibt es auf jeden Fall noch Verbesserungspotential. Dann würden sicher auch mehr Menschen mit der Bahn vereisen.
Interview von Anika Neugart.
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