Nach den ersten Berufsjahren in Freiburg kündigte Julia ihren Job und begab sich auf eine Langzeitreise, die sie in 20 Monaten einmal ans andere Ende der Welt von Russland über China und Vietnam bis Neuseeland führen sollte. Die erste Etappe legte sie von Juli bis September 2017 mit der Transsibirischen Eisenbahn zurück. Die Zugreise von Moskau bis Peking zog sich zeitlich durch mehrwöchige Aufenthalte und Zwischenstopps in die Länge. Sie arbeitete u.a. zwei Wochen bei einem Freiwilligen-Projekt in der russischen Wildnis. Die Reise, die sich einfach liest, war in der Praxis aufwändig zu organisieren. Obwohl die Langzeitreise zahlreiche spannende Länder beinhaltete, fokussieren wir uns in diesem Interview auf die Etappe mit der Transsibirischen Eisenbahn. Julia durchlief folgende Stationen mit dem berühmten Zug:
- Start in Moskau und drei Tage Aufenthalt in der Großstadt
- Einige Tage Besichtigung von Susdal und Wladimir. Die Dörfer zählen zum „Goldenen Ring“, ein besiedelter Bereich um Moskau der für seine alten Bauernhäuser und Kirchen mit Zwiebeltürmen bekannt ist.
- Ein Tag in Jekaterinburg, einer russischen Industriestadt im russischen Uralgebirge
- Ein Tag in Krasnojarsk, einer Stadt nahe eines Nationalparks mit interessanten Gesteinsformationen, genannt Stolby, ähnlich zum sächsischen Elbsandstein.
- Irkutsk, ab hier zwei Wochen Freiwilligenarbeit in Tanchoy bei der Organisation Great Baikal Trail in Nähe des Baikalsees, dem tiefsten und ältesten See der Welt.
- Ulaanbaatar, die Hauptstadt der Mongolei. Von hier drei Wochen verschiedene geführte Touren in kleinen Gruppen mit Übernachtungen in Zelten und Jurten, u.a. in die Wüste Gobi, sowie viel Kontakt zu den Einheimischen und der Kultur vor Ort.
- Peking. Zwei Monate Aufenthalt in China
Was war für dich das Highlight deiner Reise?
Mein absolutes Highlight war die Freiwilligenarbeit nahe dem Baikalsee. Ich war dort Teil einer größeren Gruppe von Freiwilligen mit denen ich für zwei Wochen im Wald lebte. Die Hälfte der Personen kam aus dem Ausland, die andere Hälfte kam aus Russland. Wir schliefen in Zelten, nutzten ein Plumpsklo, tranken das Wasser direkt aus dem Fluss und kochten unsere Nahrung auf dem Lagerfeuer. Das klingt ziemlich hart, es war für mich aber eine wunderbare Erfahrung – so ursprünglich und direkt in Kontakt mit der Natur. Auch war es gar nicht kalt, obwohl sich die meisten Sibirien als ständigen Winter vorstellen. Im August hatte es dort 27 Grad Plus. Unsere tägliche Arbeit bestand darin, uns um Wanderwege zu kümmern, diese zu pflegen, von Pflanzen zu befreien sowie Wegbegrenzungen aus Holzstämmen zu zimmern. Wir spielten auch gemeinsam viele Spiele und an einem Tag unternahmen wir eine Wanderung. Die Organisation, die wir vor Ort unterstützten, hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Tourismus durch den Ausbau der Wanderwege zu fördern und die Natur gleichzeitig zu schützen. Ursprünglich gab es Bemühungen, einen Wanderweg komplett um den Baikalsee zu führen, den sogenannten Great Baikal Trail. Dieser Trail wurde jedoch nie als Großprojekt umgesetzt. Dennoch gibt es einzelne begehbare Teilstrecken, wie eben jene Wanderwege, die wir betreuten.
Hast du dich gut mit den anderen Freiwilligen verstanden?
Tatsächlich hat sich aus der Freiwilligenarbeit für mich eine sehr enge Freundschaft entwickelt. Vor Ort war neben einem Guide, der unsere Arbeit anleitete, auch eine Übersetzerin, die von Russisch auf Englisch übersetzte. Mit ihr teilte ich mein Zelt für die zwei Wochen. Die Sorge um die wilden Tiere im Wald hat uns echt nahe zusammengebracht. Zum Beispiel gingen wir nachts immer gemeinsam zur Toilette, laut singend, damit uns, sollten sie da sein, Bären hören und weglaufen würden. Nach Irkutsk ist sie nach China gezogen, um als Englischlehrerin zu arbeiten. Dort habe ich sie noch einmal besucht. Später sind wir dann auch zusammen in Nepal auf eine Tour gegangen. Um so trauriger macht mich die politische Situation in Russland aktuell. Denn meine Freundin ist mittlerweile wieder zurück in Russland. Ich würde sie gerne nach Deutschland einladen, aber das ist auf Grund des Krieges mit der Ukraine aktuell eben nicht so einfach.
Wie bist du damals an dein Visum für Russland gekommen?
Da für meine Reise auch ein Visum für China notwendig war, habe ich die Visaangelegenheiten über eine Agentur (König Tours) organisieren lassen. Das war für mich entspannter, da ich mich dann um andere Sachen, wie die Reiseplanung kümmern konnte. Für die Mongolei benötigen Deutsche übrigens kein Visum.
Was hat dich zu der Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn bewegt?
Mein Plan war es, eine Langzeitreise in die Ferne zu machen. Nur hatte ich keine Lust einfach einen Hin- und Rückflug nach Thailand oder Australien zu buchen. Russland hat mich schon immer interessiert, auch wegen meines privaten Bezugs. Ich bin in der ehemaligen Sowjetunion geboren und mit einem Jahr nach Deutschland gekommen. Außerdem fand ich die Idee gut, direkt vom eigenen Land aus die Reise zu starten. Das langsame Reisen über Land hat mich gereizt. Und die Transsibirische Eisenbahn ist auch ein Begriff, den jeder kennt. Am liebsten wäre ich von Freiburg mit dem Zug nach Moskau gefahren. Das war aber aus zeitlichen Gründen nicht möglich, da mein chinesisches Visum sonst zu früh ausgelaufen wäre. Daher bin ich nach Moskau geflogen und dort erst in die Eisenbahn gestiegen. Das war dann der Kompromiss.
Wie hast du die Tickets für die Transsibirische Eisenbahn gebucht?
Zu Beginn hatte ich mich im Internet über die Routen und möglichen Stopps informiert. Eine Erkenntnis war auch: es gibt nicht die eine Strecke der Transsibirischen Eisenbahn. Es gibt mehrere Routen von West nach Ost, je nachdem welche Städte man sehen möchte. Aber einige Bekannte von mir haben sich für die Strecke über die Mongolei und nach Peking entschieden, wie ich auch. Das scheint eine der beliebtesten zu sein. Gebucht habe ich letztlich über das Reisebüro Gleisnost in Freiburg, das nationale und internationale Zugreisen anbietet. Für mich war das bequemer, da ich in der Zeit auch meine Wohnung auflösen musste. Zudem hatte mir jemand die Agentur empfohlen, was für mich ein weiterer Pluspunkt war. Übrigens gibt es auch noch den sogenannten Zarengold. Das ist ein Luxuszug für Touristen, der sehr viel teurer ist als die konventionelle Transsibirische Eisenbahn. Dieser ist entsprechend schicker, aber auch weitaus teurer.
Wie gestaltet sich das Reisen in der Transsibirischen Eisenbahn?
Zu Beginn, als ich nach Susdal bei Moskau fuhr, kam mir die Bahn wie ein Regiozug in Deutschland vor. Es gab die gewöhnlichen Sitzbänke und auch die Fahrgäste waren hauptsächlich Einheimische auf dem Weg zur Arbeit oder zurück nach Hause. Tiefer nach Russland hinein, fuhr ich aber ausschließlich Langstreckenzüge. Die Wagen beinhalteten für jeden Fahrgast ein Bett, immer zwei waren übereinandergesetzt. Hier war es gut, das obere der Betten zugeteilt zu bekommen, da es immer ein Bett blieb. Die unteren Betten wurden tagsüber zu Sitzbänken, die mit den anderen Passagieren geteilt wurden. Ich konnte häufig in meinem oberen Bett verweilen und schlafen, wann ich wollte.
Im Zug gab es drei Klassen, die erste, die zweite und die dritte, genannt Platzkartny. Die erste und zweite Klasse hatten Kompartiments mit Türen, wodurch die Reisenden mehr Privatsphäre hatten. In der dritten Klasse sind alle Betten offen in dem Zugwagen, wobei immer sechs Betten eine Einheit bilden, die von einer dünnen Wand abgetrennt sind zu den anderen. Ich bin immer mit Platzkartny gefahren, da es am günstigsten war. Nur für eine Strecke nutzte ich die zweite Klasse, um zu sehen, was dort anders war. Das war natürlich komfortabler, aber an sich hatte ich in der dritten Klasse auch eine gute Reisezeit. Denn egal in welcher Klasse, jeder Gast erhält frische Bettwäsche beim Einchecken. Außerdem gibt es in jedem Wagen einen Samowar mit heißem Wasser für Tee oder Instant-Nudeln. WLAN gibt es im Zug keins. Aber ich hatte mir eine russische Sim-Karte besorgt und konnte so mit Freunden und Familie schreiben.
Braucht man viel Geld für solch eine Reise?
Ich empfand es nicht als teuer mit der Transsibirischen Eisenbahn zu reisen. Vor allem wenn man dritte Klasse reist ist es ziemlich günstig. Die Mongolei war etwas teurer, China hingegen wieder günstiger. Im Vergleich zur Deutschen Bahn waren die Tickets aber günstig. Außerdem spart man sich auch die Übernachtungskosten, da man ja im Zug schläft.
War es sicher als Frau in der Transsibirischen Eisenbahn zu reisen?
Ich denke schon. Meine Eltern waren anfangs zwar sehr besorgt, als ich verkündete, allein mit dem Zug durch Russland nach China zu reisen. Ich habe mich aber während der Reise total sicher gefühlt. Es gab in jedem Wagen eine Schaffnerin, die ich in Notsituationen hätte kontaktieren können. Zudem war ich nie allein mit zwielichtigen Gestalten im Wagen. Die waren immer sehr voll besetzt. Das gab mir eine Art Herdensicherheit. Hauptsächlich waren in der Bahn Familien und ältere Personen unterwegs. Einmal habe ich eine Gruppe dubios aussehende, junge Männer gesehen, die aber nicht in meinem Abteil waren. Mir fällt auch gerade auf, dass ich eigentlich nur Zugbegleiterinnen gesehen habe, keine Zugbegleiter.
Sollte man der russischen Sprache mächtig sein, um mit der Transsibirischen Eisenbahn zu reisen?
In Moskau kommt man auch ohne Russischkenntnisse mit Englisch gut durch. Im Zug konnte aber fast niemand Englisch, schon gar kein Deutsch. Da hatte ich den großen Vorteil, dass ich von klein auf immer wieder über meine Familie mit der russischen Sprache in Berührung kam. Ich habe als Kind die kyrillischen Buchstaben gelernt und konnte einfachere Gespräche verstehen. In der Transsibirischen Eisenbahn, als es keine andere Verständigkeitsmöglichkeit gab, habe ich dann zum ersten Mal die Sprache aktiv gesprochen. Ich habe mich damit selbst überrascht und war erstaunt, wie gut ich mich unterhalten konnte! Ohne Russischkenntnisse, denke ich, ist es auch möglich, mit der Transsibirischen Eisenbahn zu reisen. Dann ist es natürlich schwieriger sich zu verständigen, aber mit Händen und Füßen, Neugier und einem Lächeln kriegt man auch so ganz gut die Zeit gemeinsam rum.
Sind dir besondere Passagiere im Gedächtnis geblieben?
Eine Begegnung ist mir gut in Erinnerung geblieben. Ich saß mit zwei Frauen und einem kleinen Jungen im Abteil. Wir haben zusammen Karten gespielt und uns unterhalten. Und der etwa elfjährige Junge meinte, ich sei die erste Ausländerin, die er je getroffen habe. Das fand ich schon sehr bemerkenswert – in Deutschland unvorstellbar. Hier haben wir so viele verschiedene Nationen allein in einer Stadt vereint. Es wäre ziemlich schwierig, nie mit irgendjemanden mit Migrationshintergrund zusammenzukommen.
Ist die Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn für jeden etwas?
Eigentlich bin ich der Meinung, dass jeder alles schaffen kann. Aber wenn ich das einteilen müsste, würde ich sagen, die Zugreise durch Russland ist eher für Menschen geeignet, die Herausforderungen mögen. Es gilt zum Beispiel Sprachbarrieren zu überwinden und mit fremden Menschen viel Zeit zu verbringen. Auch hat man nicht so viel Privatsphäre, denn die Betten sind ja immer gut einsehbar. Organisatorisch muss man allerdings gar nicht so fit sein, um mit der Transsibirischen Eisenbahn zu fahren. Die Schaffnerinnen wecken die Reisenden sogar, wenn deren Ausstiegsort gekommen ist. So kann man den nächsten Zielort gar nicht verpassen. Ein lustiger Fun Fact, der mir gerade einfällt: im Zug gilt immer die Moskau-Zeit, auch wenn Zeitzonen überschritten werden.
Was hat dir an der Reiseart gut gefallen?
Eine Motivation für die Entscheidung, mit der Eisenbahn durch Russland zu reisen, war auch mit meinen Vorurteilen aufzuräumen. Überspitzt gesagt, haben wir in Deutschland das Bild von Russen, die unfreundlich sind und nur Vodka trinken. Mit der realen, russischen Bevölkerung in Kontakt zu kommen fand ich daher sehr spannend. Dann fand ich es zudem einfach gut morgens aufzuwachen und auf der GPS-Karte zu sehen, wo der Zug jetzt plötzlich schon wieder auf der Landkarte gelandet war. Ich war fasziniert davon, wie ich in Moskau gestartet war und plötzlich beispielsweise auf demselben Längengrad wie Indien war – und das alles nur per Zug über den Landweg. Auch haben sich mit der Zeit nach und nach die Landschaft und das Aussehen der Menschen verändert. In Nowosibirsk zum Beispiel, der drittgrößten Stadt Russlands, stand ein Zug am Gleis, der nach Kasachstan fuhr. Die Zugbegleiterinnen hatten asiatische Augen – da war ich ganz aus dem Häuschen, wie nahe wir Asien schon waren. Und später, in der Mongolei, habe ich morgens Kamele aus dem Fenster beobachten können!
Wie war es wieder zurückzukommen nach Deutschland?
Ich war fast zwei Jahre unterwegs. Als ich nach Deutschland zurückkam habe ich mir erst einmal einen Lonely Planet Germany gekauft. Während der Auslandsreise war mir aufgefallen, dass ich mein eigenes Land gar nicht so gut kannte. In den fernen Ländern schauen wir uns als Touristen so viele Ecken an, von Städten über Natur, einfach alles. Aber in Deutschland gibt es eben auch sehr viel zu entdecken. Ich wollte alle Bundesländer bereisen und auch die Länder in Europa genauer kennenlernen. Man muss nicht an das Ende der Welt fahren, um beispielsweise Sandsteinformationen zu sehen. Die Pandemie hat dann dazu geführt, dass ich die Pläne, Deutschland zu bereisen, gut umgesetzt habe. Auch ist mein Drang mittlerweile nicht mehr so stark, weit weg reisen zu wollen. Neulich fragte mich eine Freundin, ob ich Lust hätte, sie nach Thailand zu begleiten. Aber da habe ich abgesagt. Mir ist auch aufgefallen, dass ich bei ein bis zwei Urlaubswochen immer denke, es lohne sich nicht, weit weg zu fahren. Wenn ich in so einem kurzen Zeitabschnitt unterwegs bin, schaue ich mir auch lieber eine Region ausgiebig an, als das ganze Land erkunden zu wollen. Ich war beispielsweise in Irland und hatte dann gar nicht den Wunsch, die ganze Insel erkunden zu müssen.
Wie stehst du zum Thema Fliegen?
Also, ich kann verstehen, wenn Menschen weit weg und ferne Länder sehen möchten. Auch kann ich verstehen, wenn dafür nicht viel Zeit ist, man beispielsweise nur wenige Tage Urlaub zur Verfügung hat, und sich daher für einen Flug entscheidet. Aber ich habe die Hoffnung, dass solche Reisen nicht mehr in so einer Häufigkeit unternommen werden. Man muss nicht in jedem Urlaub mit dem Flugzeug reisen. Es gibt ja Personen, die für ein verlängertes Wochenende nach Mallorca oder gar New York fliegen. Da würde ich mir wünschen, dass auch alternative Fortbewegungsmittel recherchiert werden. Ich war beispielsweise vor einigen Jahren im Winterurlaub mit dem Zug – inklusive Snowboard.
Ich denke, viele Menschen machen sich aktuell Gedanken über solche Themen, vor allem wegen des Klimawandels. Das ist ja mittlerweile ein Thema, das alle beschäftigt. Aber der Anteil an Menschen, die ihr Verhalten deshalb wirklich verändern, ist vermutlich klein. Das liegt sicher auch an den hohen Preisen der Deutschen Bahn. Wenn in der Recherche ein Flug immer noch günstiger ist als eine Zugfahrt, muss man sich nicht wundern, wenn der Flug gewählt wird. Ich hoffe jedenfalls, dass das Bewusstsein für solche Themen noch weiterwächst und sich öfter einmal für eine Reise in die nächste Umgebung entschieden wird.
Interview von Anika Neugart.
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26. November 2020
Volunteering in Nordamerika
Es ist nicht nur eine Reiseerzählung – es ist eine internationale Liebesgeschichte zweier abenteuerlicher Langzeitreisenden, die sich an einem ausgestorbenen Ort kennenlernten, durch den ansonsten nur Seehunde und Polarbären streifen.