Das Prinzip Kreuzfahrt kennt ein jeder. Mit dem Kreuzfahrtschiff bewegen sich die Reisenden entschleunigt von einem zum nächsten Zielhafen, um dort von Bord zu gehen. Vor Ort werden nur ausgewählte Attraktionen oder Städtchen besichtigt. Die gesamte Destination und das Umland wird, auch der Zeit geschuldet, nicht abgedeckt – einige „Must-Sees“ werden entsprechend ausgelassen. Das Schiff bietet gleichzeitig allerlei Unterhaltung, Restaurants sowie andere Reisende zum Kennenlernen. Das Fortbewegungsmittel beinhaltet also einen großen Mehrwert. Der Weg ist das Ziel. Klingt nach Slow Travel? Ist es aber nicht!
Slow Travel ist die Gegenbewegung zur Pauschalreise. Kreuzfahrtschiffe sind das Nonplusultra der Pauschalreisen überhaupt. Der Gegensatz ist offensichtlich – weshalb in diesem Artikel auf eine ausführliche Pro-Kontra-Liste verzichtet wird.
Wegen ihres schlechten Images hinsichtlich ökologischer Nachhaltigkeit arbeitet die Kreuzfahrt-Industrie an ihrer Außenwirkung. Im NABU-Kreuzfahrt-Ranking 2023 wurden die Maßnahmen der Reedereien unter die Lupe genommen.1 Vor allem kleinere Kreuzfahrtanbieter, wie Hurtigruten und Havila aus Norwegen, schreiten in Umwelt- und Klimaschutz vorbildlich voran. Die Redereien in Norwegen sind Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit, da es neben technischen Neuerungen hier politische Regulierungen gibt. Genutzt werden u.a. e-Fuels (Wasserstoff), Batterien und Landstrom. Auch synthetisches Methanol wird als der grüne Treibstoff der Zukunft angepriesen. Dennoch gibt es zwischen den Flotten der Unternehmen große Unterschiede. So werden ältere Schiffe im Bestand kaum umgerüstet und Verbesserungen fast nur an neuen Schiffen vollzogen.
Als weiterer Lichtblick werden zudem die im Mai verabschiedeten Vorgaben des EU Green Deals gewertet, durch die die EU bis 2025 klimaneutral werden möchte, was sich auch auf die Reedereien auswirken wird. Bei der Nutzung von Landstrom schalten die Schiffe ihren Antrieb aus und beziehen ihre Energie über Landstromanschlüsse. Die Anwohnerinnen und Anwohner rund um den Hafen sind dadurch weniger Luftverschmutzung ausgesetzt und die Treibhausgasemissionen sinken. In Deutschland gibt es solche Anschlüsse bereits in Kiel, Rostock und Hamburg.
Dennoch weist der NABU-Bericht darauf hin, dass die gesamten Emissionen der Kreuzfahrtbranche weiterhin ansteigen. Sehr klimaschädlich sei der Anstieg von Methan-Emissionen durch Nutzung von Flüssiggas. Obwohl Flüssiggas als Brückentechnologie gilt, ist es 80 Mal klimaschädlicher als CO2.2 Der Hauptexporteur von Flüssiggas ist die U.S.A., wo immer häufiger umweltschädliches Fracking einsetzt wird, um das Gas zu fördern.3
Im Übrigen sind die Abgase auch für die Kreuzfahrtpassagiere selbst schädlich. NABU-Untersuchungen sowie Fernseh-Teams vom ZDF wiesen mehrfach zu hohe Konzentrationen von Ruß und Feinstaub an den Decks von Kreuzfahrtschiffen nach, die mit 450.000 Partikeln pro Kubikzentimeter weit über den Spitzenwerten von Großstädten lagen. Entsprechend wird Passagieren abgeraten, sich lange an Deck von diesen Schiffen aufzuhalten.4
Der Kraftstoff- und Energiebedarf sowie die immensen Schadstoffemissionen bleiben einer der umweltbelastendsten Faktoren von Kreuzfahrtschiffen. In dem Buch „Wahnsinn Kreuzfahrt. Gefahr für Natur und Mensch“ beschreibt Autor Wolfgang Meyer-Hentrich eindrücklich, welche weiteren Bereiche der Kreuzfahr-Reedereien besorgniserregend sind:
Billigflaggen Reedereien können unter einer Flagge aus einem anderen Land fahren. 2018 fuhren von 1.841 Schiffe von deutschen Reedereien, die international verkehrten, nur 305 unter deutscher Flagge.5 Ohne Ausnahme sind deutsche Kreuzfahrtschiffe in Malta, Italien, den Bahamas und den Bermudas registriert.6 Die Billigflagge ermöglicht es den Reedereien Steuern zu umgehen und deutsche Betriebs-, Tarif als auch Mitbestimmungsrechte auszuhebeln. Neben Umweltschutzregelungen zählen dazu auch Vorschriften zur Sicherheit, Wartung, Stabilität, Brandschutz und zum Seearbeitsrecht.7 Beispielsweise hat TUI Cruises aus Hamburg seine gesamte „Mein Schiff“-Flotte unter der maltesischen Flagge registriert. Das bedeutet weder Mindestlöhne noch Kündigungsschutz für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zwölf Stunden am Tag arbeiten dürfen. Die gesamte Flotte zahlt nur 50.000 € Steuern an Malta – und das bei einem Jahresumsatz von TUI Cruises in Höhe von 650,8 Millionen € (2015).8
Ausbeutung des Personals Fast jede dritte Person des Bordpersonals auf einem Kreuzfahrtschiff stammt aus den Philippinen, was rund 250.000 Seeleute ausmacht. Die Armut treibt die Menschen aus ihrem Land, um im Ausland Geld zu verdienen. Kreuzfahrtschiffe bieten begehrte Arbeitsplätze. Es gibt zahlreiche Jobagenturen in Manila, die Personal für Schiffe ausbilden und dann als Leiharbeiterinnen und -arbeiter an Kreuzfahrt-Reedereien vermittelt.9
Jedoch erhalten sie an Bord für ein hohes Arbeitspensum sehr niedrige Löhne. Bei MSC Cruises betrugen die Monatslöhne 2016 beispielsweise 616 € (657 $) für eine Küchenhilfskraft bis 1.170 € (1.250 $) für den Barkeeper Assistenten.10 Dass Kost und Logis inbegriffen sind ist kein Trost, denn die Seeleute leben am Arbeitsplatz und sind monatelang, tausende Kilometer von ihren Familien entfernt.
Manchen Kreuzfahrtunternehmen sind jedoch sogar die gut ausgebildeten Philippinen und Philippinerinnen zu teuer. Sie beschäftigen immer häufiger Menschen aus Entwicklungsländer, wie Indonesien, Bangladesch, Madagaskar und Indien. Das rekrutierte Personal kann meist keinerlei seemännische Erfahrung oder Ausbildung aufweisen. Eigentlich sind die Arbeitsstunden international wöchentlich auf 72 Stunden begrenzt und sehen einen freien Tag pro Woche vor (Seearbeitsübereinkommen). Jedoch verstoßen die Kreuzfahrt-Reedereien auch gegen diese Vorschriften. So seien 16-Stunden-Arbeitstage keine Seltenheit.11
Kein Trinkgeld Der Großteil der Angestellten von Kreuzfahrtschiffen arbeitet im Hotelbereich (Gastronomie und Kabinenservice), weshalb Trinkgeld ein Thema ist. Bei den amerikanischen Kreuzfahrtgesellschaften werden automatisch 15 bis 20 Prozent Trinkgeld auf die Rechnungen geschlagen. Bei anderen Schiffen, wie von europäischen Reedereien, wird ein Serviceaufschlag von 15 Prozent auf alle Ausgaben der Gäste an Bord berechnet. Häufig werden auch die Trinkgelder der Bars und Restaurants an Bord einbehalten. Bei einem Schiff mit 4.000 Passagieren kommen in einer Woche ca. 263.000 bis 300.000 € zuammen (280.000 bis 320.000 $).
Nur leider kommt kaum etwas von dieser riesigen Summe beim Personal an. Viele Schiffsbetriebe bezahlen Reinigungskosten der Dienstkleidung, Bordpartys oder Landausflüge von diesem Geld. Das sind Ausgaben, die eigentlich auf Arbeitgeberseite anfallen. Beim Personal selbst kommt kaum etwas von den Trinkgeldern und Servicepauschalen an. Autor Meyer-Hentrich rät daher, den Angestellten das Trinkgeld direkt in die Hand zu geben. Denn nur so ist sicher, dass es bei der Person ankommt.12
Lärm Schall breitet sich unter Wasser schneller aus als an Land und der Lärm der Schiffsantriebe ist viele Kilometer weit zu hören. Diese langanhaltenden Störquellen vertreiben die Meereslebewesen aus ihren gewohnten Gebieten und hindern sie an ihrer Fortpflanzung. Vor allem bei Robben und Walen kann der Gehörsinn stark beeinträchtigt werden und ihre Kommunikation untereinander stören. Das führt u.a. zu Orientierungslosigkeit, was eine Erklärung für die häufigen Massenstrandungen von Walen ist.13
Müll Auf Kreuzfahrtschiffen entsteht viel Müll. Viele Betriebe geben ihre Abfälle an den Häfen zur Entsorgung ab, in Rotterdam sind es beispielsweise 80 Prozent der einlaufenden Schiffe. Jedoch gibt es keine Pflicht, den Müll an Land zu entsorgen. So lassen Schiffe, welche Entsorgungskosten sparen möchten, ihren Müll ins Meer ab. Dieser landet dann in Form von rostigen Fässern oder alten Elektrogeräten in den Netzen der Fischer. Ein weiterer Faktor sind die Lebensmittelreste, die von allen Schiffen ins Meer „verklappt“ werden. Das können rund 30 Tonnen pro Woche sein, die auf Grund der Hygienevorschriften oder dem maßlosen Verhalten der Passagiere weggeworfen werden. Lebensmittelreste sind zwar nicht giftig, aber sorgen für mehr Dünger und Algenbildung im Meer.14
Abwasser Pro Passagier werden auf einem Kreuzfahrtschiff täglich 200 bis 300 Liter Wasser verbraucht. Die Schiffe entsalzen hierfür das Meerwasser mit energieaufwändigen Aufbereitungsanlagen. Nach der Nutzung wird es wieder in das Meer zurückgeleitet. Zwei Abwässer fallen hierbei an: das sogenannte Schwarzwasser, was in der Regel schmutziges Wasser aus Toilettensystemen ist. Darin befinden sich auch Hormone, Medikamentenreste, Bakterien und Mikroplastik. Die zweite Abwasserart, Grauwasser, stammt aus Duschen, Waschbecken, der Küche und Swimmingpools. Obwohl die Abwässer durch Kläranlagen an Bord fließen, gelangen immer noch Rückstände der schädlichen Substanzen in das Meer.15
Gift Fracht- undKreuzfahrtschiffe nutzen giftige Beschichtungen, um „Fouling“ des Schiffsrumpfs zu verhindern. Gemeint sind Muscheln, Seepocken und andere Organismen, die an der Unterseite der Schiffe wachsen. Die Anstriche vernichten die Organismen und verringern dadurch den Kraftstoffverbrauch, weil weniger Widerstand bei der Fahrt auftritt. Jedoch gelangen die hochgiftigen Substanzen auch in das Meerwasser und somit in den Nahrungskreislauf der Seelebewesen.16
Greenwashing Die Reedereien sind bemüht ihr Image zu verbessern. Für sie sind über 9.000 Personen an Bord eines Vergnügungsschiffs kein Widerspruch zum Thema Nachhaltigkeit. In der Kreuzfahrtbranche werden Auszeichnungen und Preise für Umweltschutz verliehen, die nicht von externen, unparteiischen Bewertern stammen, sondern beispielsweise von Firmen, die mit den Reedereien bereits zusammenarbeiten. Eine objektive Beurteilung ist nicht gegeben. Auch erarbeiten die Reedereien pro-aktiv Nachhaltigkeitsmaßnahmen, um Regeln und Verbote durch die Politik vorzubeugen. Der AIDA-Konzern gibt z.B. jährlich einen Nachhaltigkeitsbericht heraus und hat sogenannte Umweltoffiziere beauftragt, sich an Bord der Schiffe um Abwässer, Emissionen, Müll und die Reduzierung von Abfall zu kümmern. Diese „Maßnahmen“ haben ihre Wirkung – das Gewissen der Passagiere ist beruhigt und die Kreuzfahrten von AIDA weiterhin gut gebucht. Die Passagiere werden auf Kreuzfahrtschiffen zudem zu Spenden für Orang-Utans, Nashörner, den Schutz des Regenwaldes oder für andere Hilfsprojekte aufgefordert, was das Image der Betriebe aufwerten soll. Als Nebeneffekt lenken die Spendenaktionen von den realen Problemen der Kreuzfahrt selbst ab.17
Massentourismus Abschließend ist zu erwähnen, dass Kreuzfahrten zum Übertourismus in vielen Reisedestinationen weltweit beitragen. Kleine Orte, wie das griechische Santorin, Katakolon oder das französische Honfleur, haben ihren Charme verloren und sind zu Anlegehäfen für Kreuzfahrtschiffe geworden. Die Einheimischen leben fast ausschließlich von den Schiffstouristen, die sie in umliegende Städte oder zu nahen Sehenswürdigkeiten transportieren. Das Hafenbild ist geprägt von fliegenden Händlern, die günstige Kleidung, Sonnenschutz oder Plastikprodukte anbieten.
Die estländische Stadt Tallinn bietet einen attraktiven Hafen, nahe Finnland und Norwegen, und bietet ein mittelalterliches Zentrum und eine fast vollständig erhaltene Stadtmauer. Der Altstadtbereich zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe. Bei nur 40.000 Einwohnerinnen und Einwohnern kommen pro Jahr rund 4,3 Millionen Reisende in die Stadt. Für die Einheimischen ist die Altstadt mittlerweile eine verlorene Zone, die komplett vom Tourismus dominiert wird.
Ähnliche Touristenströme ergießen sich über Barcelona, Venedig, Dubrovnik und viele weitere Städte.18 Die Einheimischen leiden unter den Massen an Gästen, einst schöne Viertel sind unbewohnbar geworden und die Gassen und Mauern der Altstädte ächzten unter der Last zu vieler Füße – teils wird darüber diskutiert, ob die über-besuchten Städte auf die Liste der gefährdeten Weltkulturerbe der UNESCO rutschen.
Auch die Karibikstaaten leiden. So ankern im Hafen von St. John’s, der Hauptstadt von Antigua und Barbuda, jährlich 200 Kreuzfahrtschiffe mit bis zu 6.000 Passagieren pro Schiff. An manchen Tagen der Hauptsaison liegen drei bis vier riesige Schiffe im Hafen. Die Bevölkerung der Stadt selbst beträgt 25.000.19
Fazit
Kreuzfahrten sind weder sozial noch ökologisch nachhaltig. Trotz dem Versuch eines Imagewandels und ersten Maßnahmen für mehr Umweltschutz sind die „schwimmenden Hotels“ als umwelt- und klimaschädlich einzuordnen. Das Personal ist teils nicht ausgebildet und die Gehälter sind zu niedrig.
Dennoch haben Kreuzfahrten ein starkes Argument auf ihrer Seite: sie sind unglaublich günstig. Und der Preis ist für viele Reisende eines der wichtigsten Argumente.
Da nicht von jedem Menschen erwartet werden kann, dass er bei der Urlaubsplanung das Thema Umweltschutz an erste Stelle setzt, sind viel mehr internationale Restriktionen, Steuern und Regeln hin zur Nachhaltigkeit notwendig. Dies würde die Preise durch konkrete und effektive Maßnahmen in die Höhe treiben und dadurch zu einem Rückgang der Kreuzfahrtreisen beitragen.
1Siehe https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/verkehr/schifffahrt/kreuzschifffahrt/33548.html (10.09.2023)
2Siehe ebd.
3Siehe https://www.nabu.de/umwelt-und-ressourcen/energie/fossile-energien/erdgas/32698.html (10.09.2023)
4Siehe Meyer-Hentrich, Wolfgang (2019): Wahnsinn Kreuzfahrt. Gefahr für Natur und Mensch, S. 111.
5Siehe ebd,. S. 54.
6Siehe ebd., S. 57.
7Siehe ebd., S. 55.
8Siehe ebd., S. 57 – 58.
9Siehe ebd., S. 66 – 67.
10Siehe ebd., S. 68.
11Siehe ebd., S. 72 – 73.
12Siehe ebd., S. 77 – 83.
13Siehe ebd., S. 119.
14Siehe ebd., S. 118 – 199.
15Siehe ebd., S. 116 – 117.
16Siehe ebd., S. 115.
17Siehe ebd., S. 123 – 131.
18Siehe ebd., S. 147 – 151.
19Siehe ebd., S. 151 -152.
Ein Artikel von Anika Neugart.
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Bild: Mstyslav Chernov. Quelle.Lizens
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