Im Jahr 2007 absolvierte Sonja ein fünfmonatiges Auslandspraktikum in der Karibik. Die gebürtige Stuttgarterin war damals 24 Jahre alt und steckte mitten im Studium. Aufenthalte in dieser Zeit waren noch etwas abenteuerlich: kaum jemand hatte ein Smartphone – 2007 brachte Apple das erste iPhone überhaupt auf den Markt – und das Internet war noch nicht so reich gespickt an Reiseberichten und -informationen wie es heute ist.
Sonja studierte damals „BWL – Fachrichtung Touristik und Verkehrswesen“ an der FH Worms und musste entweder ein Praktikum im In- oder Ausland oder ein Auslandssemester an einer anderen Hochschule absolvieren. Für sie war direkt klar, dass sie ein Auslandspraktikum machen wollte. Sie ergatterte ein Praktikum bei einem Anbieter für Katamaran-Touren mit verschiedenen Standorten, was es ihr ermöglichte, in den fünf Monaten ihres Aufenthaltes auf drei verschiedenen karibischen Inseln zu arbeiten: Bequia (St. Vincent & die Grenadinen), Tortola (Britische Jungferninseln) und St. Martin (Teil Frankreichs).
Die Arbeitszeiten glichen einem Job auf dem deutschen Arbeitsmarkt: acht Stunden pro Tag, fünf Tage pro Woche von Dienstag bis Samstag. Samstags hatte Sonja immer am meisten zu tun, da die Katamaran-Reisegruppen zurückkamen und neue starteten. Pro Monat erhielt sie 300 $ und Logis kostenfrei, was Übernachtungen direkt auf dem Katamaran bedeuteten, der zur Wartung und Grundreinigung in der Marina lag. Der Nachteil an dieser Art der Unterbringung war, dass der Katamaran jeden Samstag gewechselt werden musste, da diese mit Touren rotierten.
Was hat dich dazu bewegt, ein Praktikum in der Karibik zu absolvieren?
Ich war zu dem Zeitpunkt noch nicht viel im Ausland gewesen, weder im Urlaub noch aus anderen Gründen, und wollte die Welt sehen und kennenlernen. Beworben habe ich mich querbeet per Email bei Unternehmen im Tourismussektor in englischsprachigen, südlichen Reiseländern. Meine Kommilitoninnen und Kommilitonen dachten, glaube ich, ich bin total naiv. Vielleicht war ich das auch etwas, denn de facto hatte ich nur eine Zusage per Email und hatte mehrmals mit der Geschäftsführerin geschrieben. Einen Vertrag habe ich nie bekommen. Es hätte also durchaus passieren können, dass ich dort angekommen wäre und man hätte kein Interesse an meiner Arbeitskraft gehabt. Zum Glück ist das nicht passiert.
Was hast du vor der Reise geplant?
Ich habe Internetrecherche betrieben, wobei man aber sagen muss, dass es damals noch nicht viel über Auslandsaufenthalte in der Karibik im Internet zu lesen gab. Insgesamt bin ich relativ blauäugig in die Sache gegangen. Ich habe meine Flüge gebucht und wusste, dass ich vor Ort eine Unterkunft haben werde. Den Rest habe ich auf mich zukommen lassen. Aus heutiger Sicht war das schon etwas wenig Vorbereitung, aber es ging alles gut.
Auch auf den Job vor Ort habe ich mich nicht wirklich vorbereitet. Da die Umgangssprache Englisch, teils sogar Deutsch, war und ich immer gut in Englisch war, habe ich mich auch auf die Sprache nicht vorbereitet.
Aus was bestand dein Gepäck?
Ich hatte mit zwei großen Koffern plus Handgepäck viel zu viel Gepäck dabei. Auf den Inseln waren die Shoppingmöglichkeiten sehr beschränkt und ich wusste auch nicht, wie oft ich Wäsche waschen kann. Aber das war total unnötig und hinderlich. Mein Gepäck bestand fast nur aus Kleidung und den nötigen Kosmetika. Heute weiß ich: weniger ist mehr! Wie erwähnt, ich hatte kaum Reiseerfahrung. Und ich muss hinzufügen, dass es nicht geplant war, zwischen drei Standorten zu wechseln. Das hat sich erst vor Ort ergeben. Letzten Endes habe ich dann einen Koffer in Bequia gelassen, da der Plan war, dorthin zurückzukehren. Auch das ist nicht eingetreten, so dass mir ein Kollege meinen zurückgelassenen Koffer später nach St. Martin brachte, weil er sowieso dort hingereist ist. Wie man sieht: So viel Gepäck macht nur Umstände.
Aber sicher hattest du auch technische Geräte dabei?
Ja, ich hatte mein Handy, meine Digitalkamera und meinen Laptop im Gepäck. Der Laptop hat mir geholfen, die viele Zeit, die ich alleine war, z.B. manchmal nach Feierabend, zu füllen, Fotos hochzuladen und mit Freundinnen und Freunden sowie Familie in Kontakt zu bleiben. Heutzutage wäre das alles nur durch das Smartphone abgedeckt.
Links: Blick auf die „Simpson Bay Lagoon“, die zwischen dem französischen St. Martin im Norden und dem niederländischen St. Maarten im Süden liegt, St. Maarten, Juni 2007. Rechts: Sonjas Arbeitsort, das Büro auf Tortola (Britische Jungferninseln), Mai 2007. Fotos: Sonja H.
In welcher Landschaft hast du dich während des Jobs bewegt?
Mein Job hat sich viel am Wasser abgespielt, da ich, wie gesagt, bei einem Veranstalter für Katamaran-Touren war. Unser Büro war stets direkt am Meer in einer Marina. Ich muss aber sagen, dass ich das kaum als besonderes Highlight erlebt habe. Eine Marina ist eben kein Strand, sondern eher ein kleiner Hafen. Und es war nie ein Strand in Laufweite! Auch das ist Karibik, eben nicht nur Palmen und Strand. Die Karibik ist abseits der touristischen Strände auch nicht so wie man sie sich vorstellt. Es ist durch die Trockenheit teils sehr karg. Im Landesinneren ist es sogar je nach Insel bergig, aber naturbelassener. Das Leben spielt sich auf den kleineren Inseln aber ganz klar am Wasser ab.
Welche Fortbewegungsmittel hast du bei der Reise genutzt?
In die Karibik bin ich mit dem Flugzeug und der Fähre gereist. Vor Ort war die Fortbewegung diverser: ich erledigte viele Strecken zu Fuß, was teils sehr anstrengend war, da bergig und heiß, aber dafür sah ich viel von der Umgebung. Zudem nutzte ich lokale Busse – ein tolles Erlebnis, da das Minibusse sind, die nur selten von Touristinnen und Touristen genutzt werden. Diese Busse sind aber leider nicht so zuverlässig und haben keinen Fahrplan. Auch nutzte ich Taxis und ab und an ein Auto für Einkäufe für die Arbeit. Sowieso fuhr ich ab und zu bei Einheimischen im Auto mit, da es in der Karibik noch Gang und gäbe ist, einfach anzuhalten und Fußgänger ein Stück mitzunehmen. Auf dem Wasser war ich natürlich auch viel unterwegs: mit dem Katamaran bei Ausflügen, Wassertaxi und Dinghi.
Links: Fahrt auf dem Katamaran nach Tortola, Mai 2007. Rechts: Sonja und ihre Fußspuren im Sand. Fotos: Sonja H.
Welchen Personen bist du während deines Aufenthalts begegnet?
Den meisten Kontakt hatte ich zu Kolleginnen und Kollegen und die waren großteils aus Europa und Südafrika. Ich hatte aber auch ein paar Kolleginnen und Kollegen, die aus der Karibik kamen. Interessanterweise waren letztere auch alle „eingewandert“, da sie ursprünglich immer von einer anderen karibischen Insel kamen und der Arbeit wegen dort wohnten.
Die Kultur in der Karibik ist sehr offen, tolerant, freundlich aber direkt. Arbeit und Geld sind nicht das Wichtigste, sondern Familie sowie Freundinnen und Freunde. Auf Tortola hatte ich den engsten Kontakt zu unseren beiden Putzfrauen. Die waren so lieb zu mir und wir haben uns toll verstanden. Jenny z.B. hat mich auch mal zu einheimischen Partys mitgenommen. Sie kam selbst aus St. Lucia und ist in armen Verhältnissen groß geworden. Auch mit dem Putzjob hat sie keine großen Sprünge machen können, aber sie hat ihr Leben genossen wie es kam! Leider brach der Kontakt zu allen direkt nach meiner Abreise weg. Soziale Medien oder Messengerdienste gab es damals eben noch nicht. Aber ich denke heute noch an die Leute und ich hoffe, sie auch an mich.
Was war das beste an der Reise?
Die Erfahrung, auf mich alleine gestellt zu sein, war für mich sehr eindrücklich. Ich kannte niemanden, befand mich in einer fremden Kultur, weit weg von Zuhause. Mein Leben war so komplett anders als alles, was ich kannte. So etwas prägt einen immer und zwar im Positiven.
Gab es auch negative Ereignisse während deines Karibik-Praktikums?
Ich hatte an einem Standort eine Vorgesetzte (zufällig eine Deutsche), mit der ich nicht gut klar kam – zumindest bei der Arbeit nicht, denn privat haben wir uns gut verstanden. Sie hat mir und eigentlich niemandem nicht getraut, meine Arbeit kontrolliert, mich klein gehalten – kurzum: Ich konnte nichts richtig machen. Das kannte ich so nicht, denn ich weiß, dass ich immer 100 % gebe und zuverlässig arbeite. Das hatte ich auch in diversen vorigen Jobs immer wieder als Feedback bekommen. Nach ein paar Wochen zusammen mit dieser Vorgesetzten habe ich entschieden, dass ich dort nicht länger arbeiten möchte, da es mir psychisch nicht gut tat. Ich habe folglich darum gebeten, an einen anderen Standort zu kommen. Dies ist dann auch geschehen und dort war ich super happy.
Was hat dich die Zeit in der Karibik gelehrt?
Ich habe zum ersten Mal bemerkt, was für eine kapitalistische, teils egoistische Kultur wir haben. Oberstes Ziel für die meisten Menschen im Westen ist es, viel Geld zu machen. Das war mir vorher nicht so bewusst. Ich glaube, Menschen in nicht-westlichen, weniger reichen Ländern, sind viel glücklicher, auch wenn wir sie als ärmer wahrnehmen. Mein Lebensstil und meine Einstellung haben sich durch meine Erfahrung zwar nicht komplett geändert, aber ich würde schon sagen, dass es mich, wie viele andere Erfahrungen in meinem Leben, geprägt hat. Ich versuche, das zu genießen, was ich habe und nicht nach weltlichen Dingen zu streben. Konsum spielt für mich kaum eine Rolle.
Zudem habe ich durch den Aufenthalt erkannt, dass es etwas anderes ist, an einem Ort Urlaub zu machen, als dort zu arbeiten. Die Vorstellung, dort zu wohnen und arbeiten, wo andere Urlaub machen, ist zu kurz gedacht. Diese ganzen Annehmlichkeiten, die ein moderner, reicher Sozialstaat wie Deutschland mit sich bringt, hast du woanders nicht. Das muss einem klar sein.
Was hältst du von Slow Travel als Reiseform?
Die Idee ist toll. Wie der Begriff schon sagt, benötigt man hierfür auch Zeit und die hat man nicht immer. Ich denke, die gewählte Reiseform hängt neben den eigenen Wünschen und Vorstellungen auch sehr von der Lebenssituation ab, also beispielsweise ob man einen stressigen Familienalltag hat. Slow Travel als Gegenform von Pauschalreisen ist absolut unterstützenswert, denn wer verdient denn an einer Pauschalreise – meist große, ausländische Reiseunternehmen.
Siehst du dich selbst als eine Slow Travellerin?
Auf einer Skala von 1 (DER Pauschaltourist) bis 5 (100% Slow Traveller) bin ich vielleicht eine 5-6. Ich habe schon viele Arten von Reisen durchgeführt. Manches mochte ich, manches nicht. Es hängt von so vielen Dingen ab, wie dem Reiseziel oder den Menschen, mit denen man unterwegs ist. Ich finde es immer wichtig, Ort und Leute kennenzulernen und etwas über die Kultur und die Geschichte zu lernen. Dennoch möchte ich viel erleben, schöne Orte sehen und Aktivitäten unternehmen, die mir Spaß machen oder manchmal auch nur entspannen. Ich kann mich an vielen Dingen und Orten erfreuen, egal, auf welche Art ich sie erkunde.
Links: Das ist auch die Karibik: eine ärmliche Straße in Marigot, der Hauptstadt von St. Martin, Juni 2007. Rechts: Nummernschild der Britischen Jungferninseln. Fotos: Sonja H.
Interview von Anika Neugart.
Wenn dir dieser Artikel gefallen hat, könntest du auch diesen mögen …
27. Januar 2021
Höhlen-Expeditionen. Nur etwas für Abenteurer?
Jakub Kaleta hat ein ungewöhnliches Hobby. Seit rund fünf Jahren erkundet er Höhlen auf eigene Faust. Es sind kleine Tagesausflüge, die ihn aus dem Alltag ganz schnell in eine fremde Welt befördern. Es ist Nervenkitzel und Naturerlebnis in einem – ein richtiges Abenteuer.